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Samstag, 8. Juli 2017

Eine romantisch-witzige Kinohommage mit bitterem Schluss



The Purple Rose of Cairo

Willkommen in der diegetischen Realität

Was passiert, wenn die Grenze zwischen zwei in der Realität unvereinbar getrennten Welten überschritten werden kann? Dieses Szenario spielt Filmemacher Woody Allen lange vor Midnight in Paris bereits in The Purple Rose of Cairo durch.

In den USA während der Great Depression ist junge Frau unglücklich verheiratet und verbringt ihre Zeit, wenn sie nicht gerade Gelegenheitsjobs nachgeht, im Kino. An einem unglücklichen Tag schaut sie den titelgebenden Film in der Dauerschleife, bis eine charmante Figur aus der Diegese sie persönlich anspricht und daraufhin die diegetische Filmwelt verlässt.  Der übrige Cast reagiert überrascht und verliert seine Orientierung.

Woody Allen macht hier keinen psychoanalytischen Film.  Das Ereignis entpuppt sich nicht als Traum. Wozu auch? Hier versteht er wie kein anderer, die Möglichkeiten der Fiktion für dieses Szenario zu nutzen und ermöglicht sich so auch, die Folgen dieses Bruchs zwischen der filmischen Diegese in der filmischen Diegese mit ihrer Realität mit viel Komik zu würzen. Die Szenen im Kino, wo der Film nach dem Ausbruch Tom Baxters (Jeff Daniels) weiterläuft und die anderen Figuren untätig herumsitzen und zunehmend gereizter aufeinander reagieren, werden immer wieder zwischen die Szenen des Haupthandlungsstrangs eingestreut, in dem Protagonist(-in) Cecilia (Mia Farrow) Tom die Realität zeigt – und den charmanten Schauspieler Gil Shepherd kennen lernt, der Tom verkörpert. Um diese Dreiecksbeziehung wird sich der Film schließlich auch drehen, ab und zu tangiert vom zuvor deutlich präsenteren Monk (nein, nicht der Monk; hier Danny Aiello), Cecilias Ehemann, eine negativ gezeichnete Figur, aber kein gänzlicher Unsympath (hierfür müsste er bei W. Allen schon ein pedantischer Pseudointellektueller sein).

Hier zeigt W. Allen übrigens auch seine inszenatorische Klasse.  Er weiß nicht nur, interessante Geschichten zu erzählen, sondern erzählt diese auch auf eine interessante Art.  Hier stechen die Szenen in der kleinen Wohnung, wo Monk und Cecilia leben, heraus. Während ihrer Streitigkeiten schwenkt die Kamera entweder zwischen zwei Räumen hin und her, oder bleibt gar in einem Raum.  Sich davon zu lösen, den Figuren zu folgen und in Gänze über sie zu erzählen, hat hier außerdem den positiven Effekt, dass dabei auch Cecilias Lebensraum inszeniert wird: Eine Realität, aus der man nur allzu gern in filmische Diegesen fliehen möchte und sich träumerische Charmeure als Liebhaber wünscht.  Der Idealist Tom ist zwar fiktional in dieser Fiktion und kennt die Welt, in die er hier geworfen wird, auch nur durch ihre Ähnlichkeiten zu seiner filmischen Welt, doch er behält seinen Idealismus darüber. Der Höhepunkt dieser Charakterisierung sind die Szenen mit (einer) Prostituierten, in denen W. Allen nie dem Klamauk verfällt. Wahrscheinlich ist der Film im Bordell auf dem Höhepunkt (höhö).


Probleme am Ende

Über weite Strecken funktioniert der locker erzählte Film hervorragend, doch bekommt ausgerechnet gegen Ende Probleme. Cecilias finale Entscheidung ist enttäuschend. Woher kommt ihre Motivation für diese? Ausnahmsweise ist dies hier wichtig, da ein solcher Moment ordentlich vormotiviert sein muss. Da die Entscheidung aber durch die Handlung statt durch die Charaktere motiviert wirkt, überrascht The Purple Rose of Cairo hier mit einem dramaturgischen Problem.

Warum ist das Problem dramaturgischer Art? Weil der Entschluss nicht in ‚logisch nachvollziehbar‘ ist, nicht kausal aus der Handlung oder Diskussionen der Szene folgt. Es gibt zwar Indizien, woher diese Entscheidung kommen könnte, doch diese hätte es auch in die andere Richtung geben können.
Das Problem erinnert an die abrupte Entscheidung des Protagonisten in Midnight in Paris, als er dort die diegetische Realität der unerreichbaren Wunsch-Welt vorzieht und begründet, dass die Gegenwartswelt jener der 1920er-Jahre überlegen ist bzw. er sie als seinen „Wohnort“ favorisiert. Hier kommt sein Argument gegen Ende ebenfalls plötzlich; das Szenario ist hier zu Ende durchgespielt.


Fazit

Der Filmzeigt eine schöne schwarzweiße Film- und sepiafarbene Realitätswelt im Jahr 1935, mit trockenem Humor, einer episodenhaften Erzählweise; die verbindenden Szenen zwischen jenen des Haupthandlungsstrangs sind mit Allens Humor gewürzt. Die kurze Laufzeit ist kein Problem. Zusätzliche Szenen hätten das dramaturgische Problem auflösen können, doch dies hätte auch in den gegebenen geschehen können. Das Leben ist nicht so perfekt wie die filmische Diegese. Es ist enttäuschend wie eine dramaturgische Lücke. Die Illusionen und die Schauspieler lassen uns aber träumen.  Vielleicht kann man so ja einige seiner Ideale erhalten.


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JAH

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