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Freitag, 16. Februar 2018

How come, Martin McDonagh?



Three Billboards Outside Ebbing, Missouri

Roll credits.
Three Billboards beginnt an dem Ort, der bald ganz Ebbing aufscheuchen wird. Nicht, weil hier ein Mädchen im Sterben vergewaltigt wurde, sondern weil ihre Mutter, Mildred, Monate später drei Werbetafeln mietet, um an sie zu erinnern – und auf Kosten des krebskranken Chief Willoughby zu provozieren. Bei dieser Voraussetzung überrascht es wenig, dass es dem Film nicht an Zynismus, Witz und Komplexität mangelt.


Handlungsdramaturgie

Dramatik bedeutet in der heutigen Alltagssprache etwas anderes als in der Fachsprache. Die Alltagsbedeutung ist aber daher interessant, dass der früher für die Bühne tätige Martin McDonagh in seinen Filmen die Handlungen zu „dramatisieren“ weiß. So zeigen sich seine Hintergründe als Dramatiker (oder, im US-Sprachgebrauch: dramaturge) an der Art, wie er künstlich/künstlerisch stilisiert eine diegetische Realität präsentiert, in der sich etwas klassisch Konstellationen für verbale Schlagabtausche mit fein geschliffenen Dialogen ergeben.
Insgesamt ist Three Billboards eher geschlossen, was an einigen Stellen für etwas Reibung sorgt, wenn ein Handlungsstrang nicht erkennbar irgendwo hinführt. Dafür zeigen sich auch viele offenen Tendenzen, die vielleicht sogar schon am Anfang beginnen; außer dem Anfang wird es aber eine noch prominentere Stelle geben, an der der Film seine Offenheit dramaturgisch gewinnbringend einsetzen kann.

Die Handlung wird größtenteils von den Charakteren vorangetrieben. Bevor weiterhin die Handlungsdramaturgie untersucht wird, muss also die Figurendramaturgie beleuchtet werden:

Figurendramaturgie

Manchmal bekommen Filme Probleme, die versuchen, ihren Figuren Tiefe zu verwehren, dann aber in Situationen gelangen, wo ihre Figuren eine solche bräuchten, was dann in Kitsch oder Klischees endet. Andere Filme geraten in die Situation, dass sie einer oberflächlich angelegten Figur Tiefe geben wollen, obwohl die Umstände dafür unpassend sind und der Film sich beim Angriff auf diese Umstände selbst schadet. Three Billboards vermeidet diese Probleme mit einer interessanten und dabei durchaus schlüssigen und somit überzeugenden Strategie:
Erst werden die Figuren als markante Charaktere präsentiert, die so schon unser Interesse wecken können, bevor der Film ihnen Tiefe gibt. McDonagh, Regisseur und Autor des Films, behält dabei die Übersicht über seine Figuren. Jeder bekommt eine tiefere Dimension und ist markant genug, um länger im Gedächtnis zu bleiben. Gleichzeitig ufert diese Herangehensweise nicht aus, da entweder auf persönlicher oder räumlicher Ebene eine Vernetzung der wichtigsten Figuren stattfindet.
Eine weitere Stärke des Films im Umgang mit seinen Charakteren: Alle haben Rückgrat, alle haben ihren Stolz und begegnen sich mit einer gewissen Wertschätzung. Dass die Menschlichkeit zum Hauptmotiv eines Films wird, der sich eines solchen Themas annimmt, ist eine wohltuende Wahl: „Wir sind im Krieg“, deutet Willoughby (mal wieder als Cop besetzt: Woody Harrelson) die Situation mit Mildred. Doch auch im Krieg gibt es noch Regeln. Obschon sie auf professioneller Ebene hart miteinander ins Gericht gehen, beherrscht doch ein respektvoller Umgang das private Miteinander der Charaktere.

Diese oben beschriebene Art der Fokalisierung der Figuren ist beim Polizisten Dixon besonders auffällig. So erscheint er zunächst als Witzfigur. Als solche hätte er bereits einen berechtigten Platz in der Konstellation, doch weiß der Film seinen Figuren stets eine weitere Dimension und somit Tiefe zu geben. Dixon ist zunächst ein gewaltbereiter Rassist und nicht ganz so helles Muttersöhnchen zugleich.  Im ersten Drittel finden viele pechschwarze Witze auf seine Kosten statt:

Mildred: “So how's it all going in the nigger- torturing business, Dixon?”
Dixon: “It's 'Persons of color'-torturing business, these days, if you want to know. And I didn't torture nobody. ”

Ausgerechnet mit ihm lässt 3 Billboards uns irgendwann sogar mitfiebern, was sich sogar aus der Handlung ergibt und absolut schlüssig erscheint. Das ist zynisch, das ist bitterböse, und zugleich ist es irgendwo auch nett und vielleicht sogar respektvoll. So mag Willoughbys Meinung über Dixon zunächst überraschen. Wir werden aber noch verstehen, dass sie passend ist, da dieser ihn schließlich besser kennt, als wir.

Rhythmus

Der Film weist eine komplexe Dramaturgie auf und spielt dabei mit seinem Rhythmus. Er arbeitet viel mit unvorhersehbaren Wendungen, die zwar überraschen, aber immer ins Geschehen passen und nie deplatziert wirken. Die tiefgründigen Charaktere steuern sie herbei, machen sie glaubwürdig und zwingen die weiteren Figuren zu Reaktionen. So tragen sie die Handlung des Films voran. Dieser kann so mal mit schnellerem, mal mit ruhigerem Rhythmus Dynamik erzeugen und diese am Ende noch einmal aufziehen. Langeweile kennt 3 Billboards nicht. Die vielen Wendungen halten effektiv die Aufmerksamkeit hoch und sind zuweilen sogar äußerst bewegend.

Erzählweise

Trotz seiner Herkunft von der Bühne nutzt McDonaghs Film immer wieder filmische Erzählweisen. Schnitte, die getimt sind, wie in einer Komödie, obwohl der Film eine Tragödie ist, Parallelmontagen, Detailaufnahmen, längere schnittlose Steadicam-Aufnahmen sowie eine sinnvolle Varianz zwischen Long- und Close-Shots halten dem Film mögliche Kritiken vom Leib, die McDonagh gefilmtes Theater vorwerfen könnten. Dieser weiß stattdessen durchaus etwas mit seinem Erzählmedium anzufangen.

Sequenzanalyse

Um das ganze abstrakt Klingende etwas zu konkretisieren folgt hier eine Analyse dieser dramaturgischen Struktur anhand einer für die Handlung eher semirelevanten Sequenz.
Mit ihren Billboards konnte unser Protagonist Mildred schon nach kurzer Zeit Aufmerksamkeit gewinnen, die sich in Beschwerden bei der Polizei ausdrückt. Sie ist getrieben von einem Gerechtigkeitsdurst, den der Film sie nicht stillen lässt. Ein abstraktes Ideal treibt sie in ihrer Verbitterung an, durch die sie gerne eine Isolation in Kauf nimmt. Wenn sie rücksichtslos erscheint, dann als Reaktion auf die Rücksichtslosigkeit anderer. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Dies bedeutet nicht, dass ihr nicht bewusst werden könnte, dass Hass nur zu mehr Hass führe. Irgendwo wünscht sie sich eine Erlösung aus diesem Sog, die manchmal sogar fast greifbar erscheint – aber nur fast. In Ebbing gibt es nämlich keine Gerechtigkeit.
So erfahren wir in einer Szene auf dem Polizeirevier, dass sich u.a. ein Zahnarzt bei der Polizei über ihre Plakate beschwert hat. Schnitt zur nächsten Szene: Mildred ist gerade bei genau diesem zu Besuch. Wegen eines wackelnden Zahns, den natürlich gezogen werden muss, wie dem Zahnarzt klar ist, ohne dass er auch nur einen Blick in ihren Mund geworfen hat. Mit seinem Konflikt, der größer und größer wird, ohne Lösungen anzubieten, bewegt sich 3 Billboards auf dem Feld der Tragödie, ist aber getimt wie eine Komödie. So entsteht hier eine komische Situation, mit der sich der Film natürlich nicht begnügt.
Wir dürfen stattdessen eine nachhaltige Charakterisierung der Hauptfigur erleben, als sie sich wehrt und dem Zahnarzt mit dem Bohrer in den Finger bohrt. McDonagh, der früher für die Bühne geschrieben hat, zeigt sein Verständnis für Dramaturgie und macht dem Hitchcock-Zitat: „I like to play the audience like a piano“, alle Ehre. Der Film weiß, an welchen Stellen das Publikum lacht, und wo ihm das Lachen im Hals stecken bleibt, an welchen Stellen sich die Zuschauer die Finger zusammenkneifen und wann ihnen Schlimmes schwant, wenn sie sehen, wie die Figuren destruktiven Lebensstrukturen ausgesetzt sind. Sein Suspense nutzt der Film gerne am Schnittpunkt zwischen Spannung und Komik.

Natürlich taucht bald die Polizei bei ihr auf. Diese besteht aus Chief Willoughby und Dixon, den wichtigsten Nebenfiguren. Der erste ist ein gewissenhafter Chief, um dessen Erklärungen, wieso die Fahndung nach dem Vergewaltiger ihrer Tochter erfolglos geblieben war, Mildred sich einen feuchten Dreck schert. Dass er an Krebs leidet, steht außerhalb des Haupthandlungsstrangs des Films; genau deshalb kann der Film beides später so passend verweben. Zu Dixon wurde oben schon genug gesagt.
Willoughby erklärt ihr, der Zahnarzt, Geoffrey, würde Anzeige erstatten wollen. Jetzt reiht der Film die Szene konsistent in seine Thematik ein: Mildred behauptet, er sei bloß mit der Hand ausgerutscht und habe sich selbst verletzt. Sie wissen beide, ob Mildred die Wahrheit sagt, oder lügt. Daraus ergibt sich eine Aussage-gegen-Aussage-Situation, von der Mildred eine Parallele zu etwaigen Vergewaltigungsfällen zieht und zynisch ergänzt, diesmal sei es ausnahmsweise nicht die Frau, die verliert.
Eine Strafe wird Mildred für ihre Aktion nicht bekommen; der Zahnarzt für seine versuchte Körperverletzung genauso wenig. Dies ist für den Film so offensichtlich, dass es gar nicht weiter thematisiert werden muss.

Das ist bitterböse, wie auch, dass der Film seinen Figuren eine Katharsis verwehrt.


Am Ende empfehle ich noch wärmstens Michael Hilles Kritik, der meine als Quasi-Antwort dient: http://derkinoblog.de/three-billboards-outside-ebbing-missouri-kritik/

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JAH

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