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Montag, 16. Oktober 2017

Ein Werbeclip dauert 90 Minuten



Goal! – The Dream Begins


Fangen wir am Anfang an. Ganz am Anfang. Der erste Film der Goal-Reihe zeigt bereits von der ersten Szene an, wo’s langgehen wird: Auf die Studio Production Logos folgen Aufnahmen mit extremem Gelbstich, die fußballspielende Kinder zeigen. Der größte unter ihnen dribbelt sich durch und schießt ein Tor. Ein Coca-Cola-Logo oder dergleichen poppt leider nicht auf. Später gibt es eine Szene, die einen ehrgeizigen jungen Sportler beim Training zeigen. Isoliert man sie vom Rest, würden sie eine überzeugende Adidas-Werbung abgeben.

Diese Werbeclip-Ästhetik wird den ganzen Film nicht nur optisch dominieren: Auch inhaltlich wird eine Story erzählt, die sich jedes Kind auf dem Platz ertagträumen kann. Die Story ist simpel: Ein talentierter junger Fußballer gescoutet und findet Glück im Spiel und in der Liebe. Die Charaktere verdienen diese Bezeichnung dabei erst gar nicht, selbst wenn der Film manchmal versucht, ihnen so etwas wie Tiefe zu geben. Trotzdem sollte hier vielleicht kurz auf die Figurenkonstellation eingegangen werden:

Unser Held heißt Santi, der mit seiner Familie im Kindesalter aus Mexiko in die USA eingewandert ist. Er ist nicht gänzlich profillos, sondern kann einige „gute Eigenschaften“ aufweisen, die ihn natürlich nicht gerade zu einer interessanten Figur machen. Insgesamt ist er sehr glatt. Auf dem Platz muss er natürlich stets der beste Spieler sein. Seine markantesten Qualitäten sind die folgenden: Er kann dribbeln wie ein Zwitter aus Ronaldinho und Zidane, Traumtore schießen wie James und seine Gegenspieler automatisch schlechter machen. Ist er mal nicht der beste, ist das „nicht seine Schuld“: Bei Starkregen auf einem Matschplatz weiß er den nicht einmal zuschauenden Klubchef von Newcastle nicht zu überzeugen. Sein Erster Einsatz für die B-Elf dieses Vereins geht ebenfalls in die Hose, da ein untalentierter und gehässiger Teamkollege ihm vor dem Spiel absichtlich auf das Asthmaspray getrampelt ist – ja, Santi ist Asthmatiker.

Seine Familie besteht aus seinem kleinen Bruder, der lieb ist, seiner nicht minder lieben Großmutti und schließlich seinem bösen Pappi. Dieser will sein eigenes Kleinunternehmen gründen und hält nicht viel von Santis großem Traum, Fußballstar zu werden; allerdings hat er ihn auch nie spielen sehen. Später arbeitet er sogar gegen seinen Sohn und stiehlt ihm sein Erspartes, mit dem Santi nach England reisen wollte. Seine liebe Großmutti sorgt schließlich dafür, dass Santi über Mexiko-Stadt nach England reisen kann. Trotzdem wird Santi Senior als einzige Figur eine Entwicklung durchlaufen: In einer späteren Szene besucht er einen Pub in England, von wo aus er seinem Sohn bei einem Spiel für Newcastle United zusieht und sich für ihn begeistert. Dadurch, dass Santi nach dessen Tod davon erfährt, wird auch die Spannung in ihrem Verhältnis zueinander postum aufgelöst. Vom Tod seines Vaters erfährt Santi übrigens am Telefon. Der sadistische Teamkollege, der ihm früher noch auf das Spray getrampelt war, fragt, was denn sei. Er habe einen Herzinfarkt, antwortet Glen Foy, Santis Mentor. Ob er sich wieder erhole? „Er ist tot.“ Schnitt zurück zum Spieler. Auf diese Szene wird nicht wieder eingegangen werden.

Dazu, dass Santi in England kickt, kommt es dadurch, dass er vom Ex-MLS-Spieler Glen Foy gescoutet wurde. Glen muss sich, bis es soweit kommt, dass Santi sich endlich im Verein hocharbeiten kann, noch mit viel dramaturgischem Ballast herumplagen, der gerade in der ersten Hälfte des Films zu einem enormen Hemmschuh für die Dynamik des Films wird.
Etwas überraschen konnte mich, dass Ms. Foy, Glens Tochter, nicht mit Santi anbandelt. Santi verliebt sich in die Krankenschwester (Fetisch?) des örtlichen Krankenhauses. Ihre Beziehung entwickelt sich, sagen wir, auf eine Fortsetzung bedacht (wie auch seine sportliche Karriere). Es ist noch nicht ganz klar, ob sie Santis feste Freundin wird, oder sie „nur Freunde“ sind; außerdem qualifiziert sich Newcastle am Ende des Films gerade mal für die Champions League (und daran merkt man, dass es eben ein fiktionaler Film ist). Der Traum wird also bei weitem nicht erfüllt sein. Ein Dauerpatient im Krankenhaus ist übrigens ein alter Newcastle-Fan, der Santi mehrmals darum bittet, Gavin Herris zu sagen, er sei „scheiße“.

Gavin „Gavino“ Harris ist ein am Anfang des Films zu Newcastle gewechselter Starspieler Ende 20, der sich ohnehin mehr für weibliche Bekanntschaften und das Nachtleben der Stadt interessiert als für den Fußball. Ihm verdankt Santi seine zweite Chance nah seinem verpatzten Ersteinsatz (Santis Reaktionen auf die „Asthmagate“-Ereignisse sind übrigens so irrational und unnachvollziehbar, dass man merkt, was für Vorteile kurze Werbeclips mit ähnlich tiefgründigen Charakterisierungen haben). Die beiden werden zu den besten Freunden und durch die Moralpredigten des Coaches werden sie auch nicht nur zu besseren Spielern, sondern verantwortungsvolleren Menschen.

Erzählt ist all das nicht besonders aufwendig. Während 2015 ein Film eines ambitionierten Dokumentarfilmers einige narrativ interessante Momente vorzuweisen hat, bietet der Spielfilm Goal zehn Jahre früher eine Aneinanderreihung von Gesprächsszenen mit vorhersehbarem Musikeinsatz, die ab und zu von Montagen unterbrochen werden, die mit einem Popsong unterlegt sind und die Fußballer beim trainieren oder spielen zeigen. Das Herzstück der Filme sind aber natürlich die Szenen, in denen Fußball gespielt wird und in denen diese Spiele größeren Raum einnehmen. Hier begibt sich die Kamera auf den Platz, macht den Film-Zuschauer zu einer Art Phantom zwischen den Spielern, das auf Augenhöhe mit den anderen ist. Manchmal werden in noch näheren Detailaufnahmen laufende oder dribbelnde Füße gezeigt. Außerdem wird gerne zu anderen Orten geschnitten: Zum Trainerteam, zu Besuchern eines Pubs, die das Spiel am Fernseher verfolgen, zu den Stadionbesuchern, oder auch zu anderen in der Handlung wichtigen Personen. Und für die besonderen Momente gibt es dann dynamische Zeitlupenaufnahmen, mit denen für alle möglichen Produkte geworben werden könnte, für die Fußballer Werbeverträge unterscheiben.
Eine Fortsetzung schon mit dem Filmtitel anzukündigen? Gar kein Problem.

Dass die Amateure zu Beginn des Films gegen Santi ähnlich stark verteidigen wie die Profis am Ende, ist dabei eines der Probleme, wenn ein Film das „Erlebnis Fußball“ darstellen möchte, ohne sich für die Details groß zu interessieren (was sich auch auf die gesamte Narration ausweiten lässt). Am Ende des ersten Films haut Santi gegen Liverpool (in seiner Paraderolle als Verlierer: Rafa Benítez!) einen Freistoß in die Ecke, die eigentlich der Torwart absichern sollte. Das macht er eigentlich ja auch, durch Schnitte und veränderte Kameraeinstellungen und Bildausschnitte wird er aber woanders hin versetzt, sodass er nun in die Ecke springen muss, in der er eigentlich ohnehin stehen sollte. Für den Drehtag wurde vermutlich das Continuity-Girl freigestellt.

Diese Ästhetik ist man mittlerweile durch Sportübertragungen und die Werbung eigentlich zu genüge gewohnt, doch Goal hat, neben einem in seiner Doppeldeutigkeit vollends aufgehenden Filmtitel, hier eine weitere Stärke: Cameos! Rafa Benítez ist natürlich nicht der einzige Premier-League-Star, der seinen Weg in den Film findet. Für einige Momente kann daher hin und wieder etwas 2000er-Nostalgie aufkommen, von der der Film profitiert. Das Highlight dieser Cameos ist auch das Highlight des Films, als nach ca. 80 Minuten Laufzeit Gavino mit Santi  einen Club besucht, wo sie erst auf Beckham, dann noch auf „Gavinos Freunde“ Zizou und Raúl treffen. Es macht nicht nur Spaß, den Real-Madrid-Stars bei putzigen Schauspielversuchen zuzuschauen, sonst müsste die Fortsetzung ja ein Meisterwerk sein. Gavino kommentiert den Auftritt der Stars damit, sie seien dort, um mit Werbung Geld zu verdienen. Angesichts der sich sonst recht ernstnehmenden Story überrascht so viel Selbstironie dann doch.

Und außer dem Eindringen von echten Kickern aus der afilmischen Welt in die diegetische? Goal bietet noch eine flache Story, stereotype Figuren, treibt diesen sogar noch ihre Macken aus. Gewürzt wird das Ganze mit so viel Kitsch, Klischees und Pathos, dass man meinen könnte, ein richtiges Spiel zu schauen. Dieses wäre aber nicht nur genauso wie der Film 90 Minuten lang, sondern für Fußballfans vermutlich unterhaltsamer.

-----
JA

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